DIE WANDLUNG

Ein Kunstprojekt von Susanne Hauenstein vom 1.- 24. Dezember 2020

Vom 1. - 24. Dezember gab es hier täglich ein zusätzliches, "frisch gemaltes" Bild zu sehen.

Nun ist das Kunstprojekt vollendet.

Weiter unten gibt es ein Tagebuch dazu.

Zur vergrößerten Ansicht einzelne Bilder bitte anklicken.

So sehen Sie auch, ob ein Bild schon verkauf ist.


AUSSTELLUNG/ Besichtigung des abgeschlossenen Projekts durch das Schaufenster: 24. Dezember -  6. Januar 2021

Die Bilder konnten ALLE ab dem Tag ihrer Erscheinung erworben und z. B.  - per Gutschein - verschenkt werden.

Details dazu finden Sie HIER...

 

MÄRZ-ANGEBOT 2024

Bis zum 31. März 2024 gelten noch einmal die Sonderpreise des Projektes vom Dezember 2020: je Euro 280,-


Zum 24. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben teilweise schon zuvor)

Voilà! Die Wandlung - nicht nur der Wand - ist vollbracht. Wir haben uns in den vergangenen 24 Tagen auf die lichtloseste Zeit des Jahres zubewegt.  Wir haben den Umkehrpunkt überschritten und leben jetzt wieder dem Licht entgegen. Auch wenn es sich in der Weihnachtszeit erstmal noch nicht so anfühlt und wir die fehlende Kraft der Sonne durch viele kleine Lichter auf einem "(Lebens-)baum" ersetzen und wir DEM NEUGEBORENEN huldigen. Und wir damit unserer Hoffnung (oder unserem Vertrauen) Ausdruck verleihen, daß "alles gut wird", daß die Sonne, das Licht und das Leben zurückkehren werden. Was wir seit Tausenden von Jahren in allen Kulturen auf die eine oder andere Weise tun.

Mein Bestreben war, diesen "kosmischen" Prozeß in der Natur zu begleiten, ja ihn im tagtäglichen "Malen für die Wand" selbst bewußt "durchzumachen". Aus 24 schwarzen Tafeln wurde so von Tag zu Tag mehr Farbe und damit mehr Licht. Es hat mich glücklich gemacht und ich freue mich, daß so viele Menschen diesen Prozeß mitverfolgt haben und zum Teil ebenfalls ihre tägliche Freude daran hatten.

 

Das letzte Bild hatte ich "zum Warmwerden" schon am 28. November begonnen und an dem Tag auch weitgehend fertiggestellt. Das Kunstprojekt war mir erst 2 Tage zuvor eingefallen und so wollte ich mich innerlich schon mal einstimmen. (Und wer weiß - vielleicht wäre es ja gar nicht so verkehrt, das ein oder andere Bild "in petto", oder wie ich auch gerne sage als "Joker" zu haben?)

Relativ bald schon war mir jedoch klar: dieses Bild hebe ich mir für den 24. Dezember, bis Heilig Abend auf!

Ich habe es gerne, wenn abstrakte Formen Erinnerungen an Gesehenes erwecken ohne sie je ganz einfangen zu können. Ahnungen von Geschichten vielleicht sogar. Geheimnnisse, die nie gelüftet, Rätsel, die nie gelöst werden  können. Was es einfach ergeben auszuhalten gilt. In diesem Bild erscheinen Ahnungen, die für mich auf unsere Weihnachtsgeschichte hindeuten könnten - aber nicht müssen. Das "Doppelgestirn" rechts oben fand ich jetzt besonders verblüffend. Als ich es malte, wußte ich noch nichts von der Saturn-Jupiter-Konjunktion.

 

Und so möchte ich mich für dieses Jahr verabschieden und allen danken, die mich bei der Entstehung dieses Kunstprojektes begleitet haben. Beenden möchte ich das Projekt noch einmal mit den Worten, die mir ganz am Anfang zugeflogen waren:

 

ADVENIRE

In der herankommenden Zeit
der kürzesten Tage und längsten Nächte
im Dunklerwerden ausharren
am besten sich hingeben
den Weg der Seele erlauschen
den Spiegel reinigen im Inneren des Labyrinths
und warten bis der Umkehrpunkt sich zeigt
und das ersehnte neue Licht
die Wandlung.
Dem Wunder alle Jahre wieder huldigen
so oder so
mit diesen oder jenen Bildern
auch wenn der Winter erst beginnt
und der See noch lange still ruht.

 

 

FROHE WEIHNACHTEN!

Ihre / Eure Susanne Hauenstein


Zum 23. Dezember 2020 (gemalt schon am 20. Dezember, geschrieben am Tag zuvor)

Das Thema der Ornamentik beschäftigt mich nun schon seit mehr als 25 Jahren. Ich habe dazu Einiges geschrieben und noch mehr hat es mich - insbesondere in den vergangenen 12 Jahren - malerisch beschäftigt. (MEHR dazu...) Und es ist noch lange kein Ende abzusehen. Diese lockere - und doch auch strenge - Spielerei mit klassischen Elementen der "Archaischen" Ornamentik (wie ich es nenne) ist schon in den letzten Tagen entstanden. Gut so - dann habe ich für morgen einen "Joker", den ich einsetzen kann und habe etwas mehr Zeit für Feiertagsvorbereitungen.


Zum 22. Dezember 2020 (z. T. schon geschrieben und gemalt an den Tagen zuvor; beendet gestern)

Die ersten Vorbereitungen für das Bild, an dem ich heute weitermalen möchte, stammen schon vom 12. und 14. Dezember. (Siehe...) Auf der nicht bis zum Rand hellgrün grundierten Leinwand hatte ich mit einer kleinen, kindlichen Spielerei begonnen. Auslöser waren einige Fantasie-Katzen-Skizzen, die ich angefertigt hatte, nachdem ich Carla Sonheims "Zeichenlab" in die Finger bekommen hatte und ausprobieren wollte, wie ihre Übungen funktionieren. Viele Tage wartete dann eine sehr pinkfarbene, plakative Katze darauf wieder an die Reihe zu kommen. Irgendwann in den letzten Tagen wurde sie dann - ganz nebenbei - dreifarbig. Und gestern? Ich dachte, das geht heute schnell, die ist fast fertig. ABER: falsch gedacht. Woran lag's? Weil sie mir zu oberflächlich war? Ich weiß es nicht. Es folgten Stunden, in denen ich meistens sehr unzufrieden war mit dem, was mein Pinsel da machte. Irgendwann aber rührte mich an, was entstand. Da war plötzlich ein GEGENÜBER... klein, zart, viel Power, seltsam. Frei vom süßes-Kätzchen-Klischee.


Zum 21. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am Tag zuvor)

Ich sehe mir einige Leinwände an, auf denen ich zwischendrin immer mal SPUREN hinterlassen habe, Spuren, die meiner bildnerischecn Intuition als Einstiegshilfe dienen können. Ein locker gemalter Untergrund wirkt wie ein Schild, auf dem etwas stehen könnte. Da ich immer wieder gerne auch Worte male... - Ja, genau! - Aber was? Da erklingt in mir das altbekannte "Here & Now". Und da ich mittlerweile einfach diesen Impulsen vertraue und aufgehört habe, ständig mit mir selbst zu diskutieren, mag es so sein. Dann darf auch das  mit auf die Wand... Ist es nicht sowieso das Motto dieser 24 Tage?! Folge ich nicht - möglichst frei von Konzepten - dem HIER und JETZT? Immer wieder neu inspiriert, von Tag zu Tag, von Augenblick zu Augenblick...? Denn: Wie anders sollte WANDLUNG sonst überhaupt möglich sein?

Natürlich treibe ich damit die Vielfalt meiner Ausdruckslust auf die Spitze, erhebe damit das Konzeptlose endgültig zum Konzept. (Wenn's denn unbedingt eines braucht.) Und finde das sehr belebend.


Zum 20. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am Tag zuvor)

Heute will ich mir auf jeden Fall die Jupiter-Saturn-Konjunktion am Himmel ansehen, wenn es dunkel wird. Sie steht dann eine Weile im Südwesten, bevor sie hinter dem Horizont verschwindet. Der "Stern von Bethlehem" sagen manche. Es ist ein Ereignis, daß sich diese beiden Planeten ausgerechnet zur Wintersonnenwende am Montag (zumindest von uns aus gesehen, also optisch) zum ersten Mal wieder so nahe kommen, wie es zuletzt Zwölfhundertirgendwas der Fall war. Das begeistert natürlich Astronomen wie Astrologen gleichermaßen.

Heute fange ich wieder an, indem ich auf 2, 3 Leinwänden mit Farben, die mir heute gut tun, ganz zweckfrei herumspiele.

Nachdem wir aber von unserem kleinen Spaziergang in der frühen Dunkelheit zurückkommen, bin ich - geprägt von dem Gesehenen, so fixiert auf zwei kleine, weißlich Tupfer auf einer der Leinwände, daß ich den Rest übermale und in immer dunkleres Blau tauche. Ein interessanter Minimalismus, der mich formal aber noch nicht befriedigt, den ich noch ruhen lassen möchte. So entscheide ich mich heute doch noch für etwas Konkretes, noch einmal für ein Portrait. Dieses Mal soll es ein männliches Antlitz werden, nehme ich mir vor. Es ist nicht mehr allzuviel Zeit und meine Farbauswahl ist nicht so klar im Voraus definiert wie bei der jungen Frau von neulich. Während ich male, sieht das Gesicht manchmal so aus wie ein Freund damals, aus meiner Jugend. Dann wieder nicht. Manchmal wirkt es eher weiblich. Es ist ein Prozeß, wie ein Film, dem ich selbst zusehe. Ob das fertige Bild "hält", weiß ich noch nicht, entscheide mich aber trotzdem dafür es aufzuhängen. Das war eben mein Maltag heute - und ein Teil der Dokumentation der WANDLUNG.


Zum 19. Dezember 2020 (gemalt an den Tagen zuvor; Collage beendet und Text: gestern)

Mir fällt ein sehr besonderes Beuys-Zitat ein: "Das Mysterium findet am Hauptbahnhof statt." Ein TISCH gestern und heute eine Mixed-Media-Collage mit banalem Kleingedruckten des täglichen Lebens, als ordentliche Sammlung aufgeklebt auf einem Untergrund (im Vintage-Look gemalt mit Acrylfarbe).

Entstanden war die Collage schrittchenweise, als parallele Spielerei während der letzten Tage. Das Zusammenfinden und Sich-Fügen der einzelnen Teile braucht Zeit, das kann man nicht forcieren. Ich sammle schon lange Bedrucktes aus der Welt unseres Alltags. Ich horte es wohlsortiert in leeren Mon-Cherie-Schachteln. Banales Alltagszeug, bereit sich zu  neuen Ordnungen zu fügen. Aus dem Chaos (Müll) einen Kosmos (gr. für "schöne Ordnung") auf einem Bild erschaffen. Seit jeher liebe ich das Medium der Collage.

Ich mache einen Fehler, den man beim Anfertigen einer Collage nie machen sollte: mit dem Aufkleben beginnen, bevor die Komposition  steht. Es ist ein Moment nachlassender Aufmerksamkeit, der mich zu diesem unüberlegten Schritt verführt. Nun müssen über Stunden neue Teile gesucht und in die bereits aufgeklebte Situation (die für mich aber eben noch nicht "rund" war) eingefügt werden, bis eine neue Balance entsteht. Günter schlägt als Titel "7939" vor. Das gefällt mir, es befriedigt meine Freude am Humor des Absurden. Daß sich übrigens in der rechten unteren Ecke ein Türchen vom 18. Dezember aus einem alten Adventskalender verirrt, amüsiert mich ebenfalls. Das ist ja heute!

 

Immer spannender wird nun natürlich auch, wie und ob sich die "Collage" der Wand der WANDLUNG am Ende von alleine zu einem Ganzen fügt - oder ob dann nochmal umgehängt werden muß, damit es paßt.


Zum 18. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am Tag zuvor)

Was wird heute auf mich warten, will heute Bild werden? Ich halte die Frage. Dann - woher kommt der Einfall? - die Erinnerung an ein Thema, mit dem ich mich immer schon mal beschäftigen wollte: TISCH. Ich will schon lange Tische malen. Am besten eine ganze Serie. Wieso? Weil "der Tisch", außer daß er halt ein Tisch ist, auch immer wieder als Symbol herhalten muß. Für das, was WIRKLICH ist: "Das ist so wahr/wirklich/sichtbar, wie der Tisch, an dem ich hier sitze!" Aber nicht nur das. Meine früheste, kindlich-logische (philosophische, wenn man so will) Überlegung beschäftigte sich ebenfalls schon mit diesem Möbelstück. "Wenn Gott die Menschen erschaffen hat und der Mensch den Tisch, dann hat Gott auch den Tisch erschaffen." Da war ich noch sehr klein und ich weiß noch, daß ich es damals schade fand, daß niemand diesen Gedanken weiter mit mir vertiefen wollte.

Nachdem zuvor schon Zinnoberrot und Ultramarinblau vor meinem inneren Auge aufgepoppt waren, entschließe ich mich heute dazu, einen roten Tisch auf blauem Hintergrund zu malen. Ich studiere kurz meinen Küchentisch, fotografiere ihn auch und zeichne ihn dann mit Kreide auf die schwarze Leinwand. Sitzt nicht ganz in der Mitte, ist gut so.

Ich möchte den Tisch nicht "fein" malen, möglichst keine Illustration daraus machen. (Ich liebe die völlig plumpen, "perspektivisch falschen" Tische, die Dubuffet gemalt hat. In ihnen spüre ich diese "Erdigkeit", das Tischhafte, wie ich einen Tisch auch körperlich spüre. Keine Schnörkel, keine Zier. Einfach. Tisch.) Ich male meinen ersten Tisch. Rot auf einem aufgehellten Ultramarinblau, das digital leider kaum rüberkommt. Hübsch, gefällt mir. Noch sehr illustrativ, aber ein Anfang. Ihm werden noch weitere Tisch-Experimente folgen. Nicht in diesem Projekt, aber später.


Zum 17. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am Tag zuvor)

Wie tief die Sonne jetzt steht! Wir gehen auf den kürzesten Tag des Jahres zu - die Wintersonnenwende. Ich  fühle mich wohl in dieser stillen Zeit des "Advenire". Mir fehlt der ganze Rummel in keinster Weise. Die Natur fährt doch auch schon seit Wochen runter. Sie fällt in die Erholungsphase einer Starre. Ich denke: "Man sollte ein Gesetz erlassen: Weihnachts-geschenke müssen im Sommer gekauft werden!" Damit diese Zeit wirklich eine "stade Zeit" sein kann. Damit wir innerlich werden können, uns bewußt diesem tiefsten, dunkelsten, vom Licht her gesehen PASSIVSTEN Punkt des Jahres zuwenden können. Einfach mal nichts machen, was nicht unbedingt nötig ist. Man kann nicht immer nur nach außen leben. Man muß auch nach innen leben. Tun wir es nicht immer wieder freiwillig, holt sich die Natur in uns, was sie braucht. (Vielleicht holt sie sich gerade ja auch sonst, was sie so dringend braucht?)

Ich spiele anfangs parallel mit zwei Leinwänden, auf denen in den Tagen zuvor schon Spuren entstanden waren - und bleibe an einer Leinwand hängen. In den folgenden Stunden wird daraus ein sehr zartes, helles, rhythmisch strukturiertes Streifenbild. Es wird ein sehr, sehr stilles Bild. Ich mag "weiße" Bilder. Es bekommt den Titel "Zarter Seelen Winterschlaf" und paßt gut zu meinen Gedanken des Tages.


Zum 16. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am Tag zuvor)

Ich treffe beim Einkaufen meinen alten Freund K. - ihm gefällt bisher das Labyrinth am besten, erzählt er mir. Er sieht darin auch einen Engel. Und schon bin ich auf der Heimfahrt wieder einmal am Nachdenken darüber, wie unterschiedlich Malerei doch aufgenommen wird. Für die Einen ist Gegenständlichkeit zwingend nötig, um mit Malerei überhaupt etwas anfangen zu können. Etwas wiedererkennen zu können, seinen Gehalt schnell BENENNEN zu können, erzeugt in diesem Fall einen Aha-Effekt. Sicherlich zählt dabei auch noch die Darstellungsweise, die anspricht oder abstößt oder einfach langweilt. Menschen mit Kenntnissen in der Symbolik haben auch einen eigenen Blick auf Werke der Bildenden Kunst. Für sie zählt häufig diese Ebene so stark, daß die künstlerische Umsetzung, das WIE, völlig in den Hintergrund rückt.

Dann gibt es diejenigen, die - unabhängig vom persönlichen Gefallen - realisieren daß ein Werk "aber viel Arbeit" gemacht hat. Da wird die Zeit-Leistung, der "Fleiß", wahrgenommen. Dann muß ein Bild gut und "etwas wert" sein.

Für mich ist Malerei ein geradezu magischer Umgang mit Energien. Das nehme ich wahr, ganz unabhängig davon, ob ich die gegenständliche Malerei eines alten Meisters/ einer alten Meisterin anschaue oder ein rein abstraktes Werk. Daß Farben Energien sind, das wissen, ja SPÜREN die meisten Menschen - und gehen tagtäglich damit um: "Heute brauche ich mal den roten Pulli...", etc. Mit Formen ist es das Gleiche: Eine senkrechte Linie hat eine ganz andere Energie als eine Waagrechte. Und FORMEN BLEIBEN, auch wenn das Tageslicht immer weniger wird und damit die Farben immer mehr verschwinden...

Ich nehme Malerei bevorzugt energetisch wahr. Die "Erzählung" in einem Bild interessiert mich oft nur nachgeordnet. (Was nicht heißt, daß ich nicht zu großer Bewunderung hinsichtlich so mancher großartig dargestellter Inhalte fähig bin.)

Heute ein Bild, dessen Untermalung gestern schon entstanden war. Farbe und Bewegung, mit dem Spachtel aufgetragen. Heute kommt nur ein runder Borstenpinsel zum Einsatz. Und auch, erstmalig, einige Tropfen einer Acryltusche. Heute läuft es gleich von Anfang an entschieden, leicht und konzentriert. Im unteren Teil des Bildes erscheint eine Form, die mich an einen Tempel erinnert. Ich lasse sie stehen. "Templum" schießt mir da das lange vergessenen, lateinische Wort durch den Kopf, rasant aufgestiegen aus sehr tiefen Schichten meiner Erinnerung. Nun denn!


Zum 15. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am Tag zuvor)

Um mich ganz meinem Projekt widmen zu können, ist mir im Moment ein möglichst ereignisloses Leben gerade recht. Heute jedoch mal wieder aus dem Tritt gekommen. Spontaner Handwerkerbesuch. Ist gar nicht so einfach mit einem Retreat, wenn man nicht in einem Kloster lebt... Heute keine Ruhe mehr im Leib für Feinarbeit. Oder liegt's an der totalen Sonnenfinsternis, die heute, während ich male, in Argentinien und Chile und über dem weiten Meer bis Afrika wahrnehmbar  ist?

Ich springe ein paar Stunden hin und her, von einer begonnenen Leinwand zur nächsten. Am Ende finde ich mich in etwas ganz Einfachem, Strengen. Ist mit der Spachtel entstanden. Die weiße Spachtelmasse, die ich vor Jahren mal geschenkt bekommen hatte, glänzt auf dem schwarzen Untergrund nach dem Trocknen leicht silbrig. Struktur, die Verschiedenes erahnen läßt ohne es zu benennen. Heute mal mit schwarzem Rand. Welch ein Kontrast zu gestern! Kein Rahmen-Sprengen heute.


Zum 14. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am Tag zuvor)

Entspannter Sonntagnachmittag. Erstmal Musik von Ghasal ("The Rain") und Monty Alexander. Ich... - ja, schon wieder! - GRUNDIERE eine bißchen, mache "Kompost", wie ich es nenne, für die Bilder-Blumen, die darauf wachsen, irgendwann, zu ihrer Zeit. Ich probiere hier und dort etwas herum. Die Grundierung mal nicht bis zum Rand aufzutragen gefällt mir sehr. Es bricht die harte Form der rechtwinkligen Malfläche auf. Der rechte Winkel dominiert unser Leben sowieso zu sehr, da bin ich ganz bei Herrn Hundertwasser. Aber wie bringe ich den entstehenden Rand, der letztlich ja doch wie ein Rahmen wirkt (egal wie sehr ich ihm die Rechtwinkligkeit nehme) zusammen mit meinem immer wieder kehrenden, tiefen Bedürfnis, den RAHMEN zu SPRENGEN? Ich male etwas an einem stilisierten, plakative Kätzchen ( "Miau"!) weiter, aber das ist eigentlich nicht das, was ich heute suche. Da muß wieder mehr Bewegung her... irgendwie... Ich greife zu 2 Rottönen und Gelb. Ich trage die Farben mit sehr schnellen, dynamischen Bewegungen auf. Ein Feuer lodert! Könnte man auch so lassen, hat was. Aber nur aus dem Temperament heraus malen? Einen Schnellschuß nach dem anderen produzieren? Nein. Der Genuß des Komponierens, Abwägens, des In-mich-hinein-Spürens in aller Ruhe wäre verschenkt. (Wie ein Schnaps, den man schnell runterkippt. Und aus die Maus.) Ich schabe wieder etwas herunter von der noch feuchten Farbe, füge noch ein leuchtendes Grün hinzu, das sich mit der rot-gelben Mischung verbindet. Die entstehenden Flecken laden mich ein, endlich wieder mit - und nur - mit dem Pinsel nach einer meiner ornamental-rhythmischen Kompositionen zu suchen. Ich gehe dabei sehr langsam und vorsichtig vor. Und lege Arvo Pärt auf, dessen "Tabula Rasa" ich 1998 auf der kleinen äolischen Insel Alicudi kennengelernt habe, weit oben auf dem Inselberg, nachts, in einer fast-noch-Ruine... Genau diese CD begleitet mich nun  in dieser Phase des Malens. Ich empfinde dabei die Schönheit von Pärts Kompositionen so außerordentlich intensiv, daß sie beinahe schmerzt. Wie damals auf dem Berg. Ich brauche viel innere Ruhe um dieser Musik angemessen lauschen zu können, um sie ganz in mich aufnehmen zu können. Heute habe ich sie. Heute blüht sie in mir auf, befruchtet mich. Das geht sogar mit dem vielen Rot da draußen auf dem Bild.


Zum 13. Dezember 2020 - 3. Advent (gemalt am 8., 9. und 12. Dezember, geschrieben am Tag zuvor)

15.17 Uhr - endlich wieder im Atelier! - Erstmal wieder runterkommen von all den To do's des Alltags heute, ausschnaufen, Füße hochlegen. Mal wieder in Herrsching gewesen,  in ein Spezialgeschäft gefahren (wochenlang vor mir hergeschoben) - wer weiß, ob es offen bleiben wird beim kommenden Lock down? Ich bin so froh für diese selbst auferlegte Pflicht des Malens jeden Tag. Sonst würde es heute noch weitergehen mit Haushalt, Büroarbeit, Telefonaten, eMails - kurzum: der nie enden wollenden Organisation rund um mein Freiberuflerinnenleben. Jetzt aber eben: HALT! - Das darf, ja "muß" jetzt alles liegenbleiben. "Davon geht die Welt nicht unter", denke ich mir und - ups! - war da nicht mal ein Lied mit dem Titel? Gaaanz früher? - - - Ah, Zarah Leander! Wußt ich's doch! Ein Durchhaltelied. Sehr pathetisch, sehr kraftvoll. Aber, - mmhh...! - Schon seltsam, daß mir heute diese Worte und dieses Lied einfallen.

Ich male an dem 2. "Teppich-Bild" weiter, begonnen wie das erste am 8. Dezember. Farblich hatte es mit einem leuchtend blauen Jutestück auf einem knallroten Hintergrund angefangen. Durch eine gelbe Lasur war am 9. Dezember dann schon der orangefarbene Hintergrund entstanden. (Der "Teppich" war dadurch natürlich sehr grün geworden.) Wie mache ich heute weiter? Ich denke erstmal an ein knalliges-Pink-Violett für die Fransen, innen was Helles. Doch es stellt mich nicht zufrieden. Ich korrigiere immer wieder die Farbigkeit, manchmal nur winzige Nuancen, habe immer wieder das Gefühl "da geht noch mehr...". Es dauert tatsächlich erstaunlich lange (ein paar Stunden) bis Teppich und Hintergrund eine Einheit bilden. Titel einfach: "Noch ein Teppich!" Mach ich vielleicht mal eine ganze Serie. Gefällt mir. Weil es einerseits um Abstraktion geht - um die Kraft von Form und Farbe an sich, andererseits aber auch um (Teppich-)Poesie. Vielleicht fliegt er ja gerade irgendwohin?


12. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am Tag zuvor)

Erstmal ein bißchen grundieren - das ist immer gut, um in die Gänge zu kommen. So verwandeln sich 2 schwarze Leiwände in eine hellblaue und eine hellgrüne. Mal sehen, was daraus irgendwann mal wird...

Dann entscheide ich mich spontan für ein Portrait. Nicht nach Vorlage, sondern einfach so. Auf einer früher bereits hell grundierten Fläche entsteht eine schnelle Kohlezeichnung - ein freundliches Antlitz, das mich - zuerst zumindest - an das "Masurische Mädchen" erinnert, eine Schwarzweißfotografie aus einem Buch, das ungefähr 100 Jahre alt und mir sehr vertraut ist. "A friendly person", schießt es mir durch den Kopf. - Nun denn - fangen wir heute halt mal mit dem Titel an...! Ich fixiere die Kohlezeichnung mit einem Bindemittel und setze dann mit weißer Farbe die hervorstehenden Bereiche des Gesichts. Ich mag es, wie sie jetzt schon schaut. Ich wähle einige wenige Farben aus und lege los. Während ich male, wird sie immer lebendiger. Am Ende hat sie einen etwas verträumten, in sich gekehrten Blick. Und ja, sie ist "A friendly person". Ein ruhiger, guter, leichter Maltag heute. Wem sie wohl ähnlich sieht?


Zum 11. Dezember 2020 (gemalt 2017, am Vortag geschrieben)

Apropos Elfenbeinturm. Natürlich geht das Leben "da draußen" nicht unbemerkt an mir vorüber. Wie auch! Heute z. B. fühle ich mich erschüttert von der Schilderung einer Freundin. Im Reitstall traf sie eine Ärztin, die plötzlich in Tränen ausbrach. Sie arbeitet in einer der völlig überlasteten Kliniken in Ulm und ... - Weitere Details will ich an dieser Stelle gar nicht zitieren.

Vielleicht entschließe ich mich deshalb an diesem Tag für ein einfaches Stillleben. Mandarinen. Die Vorbereitungen für dieses Projekt tun mir gut. Ich bin sehr konzentriert und genieße die Stunden des genauen Hinschauens, das lenkt mich ab und ich bin wieder ganz bei mir. Aber: die Stunden fliegen dahin und ich werde damit einfach nicht fertig heute. Deshalb entscheide ich, am nächsten Tag tatsächlich mal einen "Joker" einzusetzen, ein Bild, das ich schon früher gemalt habe. Ich wähle ein Blumenbild von 2017, das die gleiche Größe hat und ebenfalls auf einem schwarzen Untergrund entstanden war.


Zum 10. Dezember 2020 (am Vortag gemalt und geschrieben)

Die Tage vergehen auf wundersame Weise. Nein, das hier ist kein Alltag - das hier ist Retreat, Rückzug von der Welt (mit ein bißchen Alltag gemischt, das schon - muß mir mein Süppchen schon selbst kochen - meistens). Elfenbeinturm? Nicht ganz. Ich bin ja verbunden. Kommuniziere. Unterhalte, erfreue andere Menschen dabei. Gebe manchmal wohl auch Anstöße: zum Nachdenken, selber Malen...

Ich betrachte ein bereits angefangenes Bild und finde es plötzlich doch schon zu gut um daran weiterzumalen. Gerade noch rechtzeitig stoppe ich mich und den Pinsel, die Farbe zum Weitermalen schon auf der Palette. - Hier gibt es eben keine Return-Taste! - Abwarten! - Im Moment meine ich das Bild genauso, wie es ist.

Dann nehme ich mir ein anderes, ebenfalls schon begonnenes Bildprojekt vor, komme auch einen Schritt weiter, weiß aber, daß das für heute alles ist, was möglich war. Auch das muß noch reifen, braucht noch Zeit.

So beginne ich ein neues Bild direkt auf der schwarzen Leinwand, auf dem "bespannten Keilrahmen", genauer gesagt. Baumwollmischgewebe. Kurzform: "Leinwand". Ich will jetzt noch einmal anknüpfen an mein Experiment vom 2. Dezember, will ausprobieren, was mit dem Pinsel geht an Rhythmus in einer freien, abstrakten Komposition, angelehnt an Elemente archaischer Ornamentik. Ich male lange nur mit einem alten, etwas fransigen Flachpinsel. Zarte Schwünge mit sehr dünner Farbe und sehr leichter Hand. Es entstehen sich überlagernde "Schwingungen". Ich bin ganz angetan, aber der Prozeß läuft irgendwie zu sehr aus dem Ruder, verselbständigt sich mehr als ich noch steuern kann. Hat es am Pinsel gelegen? An einer inneren Unentschiedenheit? Oder mit dem bekannten Nietzsche-Zitat, das ich morgens in Christoph Quarch's "Das große Ja" gelesen hatte: "Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." - ?? - Worte, die mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gehen. Passend dazu ringe ich viele Stunden mit der Komposition, immer mehr werden es "tanzende Sterne" - gegen die ich mich jedoch lange wehre. (Hach - dieses Kreiseln immerzu!!) Erst am Ende gebe ich die Bedenken auf und sage mir: jetzt erst recht! Ich werde etwas wilder, auch etwas zerstörerisch. Bin formal auch am Ende noch nicht ganz zufrieden. Daran weitermalen, morgen? Doch mal einen Joker einsetzen? Ich entscheide mich dann doch für das Bild, so wie es jetzt ist. Das hat Nietzsche nun davon.


Zum 9. Dezember 2020 (am Vortag gemalt und geschrieben)

Nachdem ich gestern das Wort "Bastelei" verwendet hatte, lag es mir eigentlich noch auf der Zunge etwas über die Bedeutung von "Bricolage" zu schreiben. Bernt Engelmann und Gisela Wunderlich, die beiden Filmemacher aus München, hatten mich bei einem Besuch im Sommer darauf aufmerksam gemacht. Der Begriff fiel 2, 3 Mal, als sie sahen, wie ich lebe und arbeite. (Eigentlich waren sie u. a. gekommen, weil ich mich wegen einer schon länger in mir gärenden Frage an sie gewandt hatte:  Wie kann ich die Entstehungsprozesse meiner Bilder am Besten dokumentieren und vermitteln? Abgesehen davon kennen wir uns nun schon seit Jahren, weil ich sehr gerne ihre Künstlerfilme bei meinen "Künstlerfilmen im Gespräch" im Breitwandkino präsentiere und sie regelmäßig dazukommen.)

Zurück zur BRICOLAGE. In Wikipedia steht dazu (u. a.): "Der von Claude Lévi-Strauss 1962 in die Anthropologie eingeführte Begriff Bricolage (von frz. bricoler herumbasteln, zusammenfummeln) steht für ein Verhalten, bei dem der Akteur (Bricoleur) mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen Probleme löst, statt sich besondere, speziell für das Problem entworfene Mittel zu beschaffen." Das bin ich ganz sicher: eine "Bricoleurin". ("Geht nicht, gibt's nicht. Irgendwas geht immer." - Kaum taucht ein Problem - nicht nur künstlerisch - auf, springt mein inneres Suchprogramm an: Erfahrungen, Möglichkeiten, innerlich abgespeicherte Bilder rattern durch, während ich mich mit ganz anderen Dingen beschäftige. Es ist einfach die FRAGE an die unbewußten Schichten meines Bewußtsein, die sich selbst die Anworten sucht. Diese erscheinen dann als "Eingebung" - INTUITION - irgendwann. Wenn die Zeit reif ist.)
Ich widme mich heute den beiden begonnenen "Jute-Projekten" vom Vortag. Da immer wieder längere Trocknungsphasen nötig sind, beginne ich parallel und abwechselnd an 3 anderen Bildern zu malen, die ich schon grundiert oder mit Farbspuren versehen hatte. Ich springe hin und her. Lange ist nicht klar, worauf es rausläuft heute. Aber ich vertraue. "Wird schon werden..." Es ist wieder 21.30 Uhr als ich mit einem der Jute-Bilder zufrieden bin. Ich finde es schön minimalistisch, Arte Povera-mäßig. Wie kleine, blaue Teppiche, die zum Verkauf präsentiert werden. Deshalb nenne ich es auch so.


Zum 8. Dezember 2020 (am Vortag gemalt und geschrieben)

Die Woche beginnt sehr freundlich: ich bekomme gleich morgens zwei begeisterte Anrufe zu meinem Kunstprojekt. Herzerwärmend für beide Seiten. Immer wieder erhalte ich - auch per eMail - große, seelisch-geistige Unterstützung auf meinem Weg des "Malens ohne Sicherheitsnetz" in diesem Projekt. Ich bin berührt, wie viele Menschen "Die Wandlung" verfolgen - und fühle einfach Dankbarkeit für diese Resonanz. Ich habe so etwas noch nie erlebt: ganz mit und bei mir bleiben zu können - und mich gleichzeitig mit so vielen Menschen verbunden zu fühlen...

Nachmittags 14.45 Uhr: Ich ziehe meine Malschürze an. Und habe keine Ahnung, was heute Bild werden will. Ich könnte ja auch mal was abmalen...? Aber dazu müßte mich etwas "anspringen". Ich will noch etwas die Stille genießen und die Sonne, die gerade ins Atelier hereinscheint. Ein bißchen lesen vielleicht.

In einem Text über Anselm Kiefer lese ich was von "Öl auf Jute". Ah... - Jute! - Gute Idee... Ich könnte mal die Jutereste aus dem Keller holen. Und so beginne ich und beschäftige mich mit einer für mich neuen Form der Materialcollage. Wollte ich schon immer mal ausprobieren. Machen ja viele. Auch ich lasse mich gerne vom Material zu abstrakten Kompositionen anregen. Mal gucken, ob mehr als eine Bastelei dabei herauskommt... Nach zwei Ansätzen auf 2 Leinwänden gebe ich das Vorhaben jedoch für heute auf: die Trocknungszeit zwischendrin dauert einfach zu lange. Ein anderer Klebstoff wäre geschickter gewesen. Naja. Mache ich morgen dran weiter. Und so beginne ich erstmal wieder - noch ganz planlos - einige schwarz grundierte Leinwände, die ich noch in petto habe, zu grundieren. Irgendwie. Hauptsache, es entstehen Spuren, an denen sich dann meinen Assoziationen weiter entlanghangeln können. Von denen ein "assoziativer Dunst" ausgeht, der meiner linken Gehirnhälfte nur gerade so viel Kontrolle läßt, um die immer wieder nötigen, vielen, kleinen handwerklichen Bewegungen ausführen zu können.

19.45 Uhr: Das Prinzip der Streuung aus der Ornamentik setzt sich auf einer der grundierten Leinwände plötzlich durch, verwandelt sich dann aber - durch die gezielte Verringerung der Gleichmäßigkeit - in eine lockere All-over-Komposition. Es wird wohl ein Blumenbild geben heute. Blütenköpfe schweben. Irgendwo. Gute Stimmung - gefällt mir. Farblich erinnert es mich an ein Bild, das ich früher einmal gemalt habe.


Zum 7. Dezember 2020 (am Vortag fertig gemalt und geschrieben)

Ich male an dem Bild weiter, dessen Malprozeß ich gestern unterbrochen hatte. Heute bleibt mir dafür mehr Zeit und das ist schön.

Die Vorformen der "Bänder" waren aus tanzenden, schwungvollen Bewegungen mit einem groben Borstenpinsel entstanden. Dazu hatte ich schon einige Tage zuvor Farbreste von der Palette aufgebraucht: Grün, Violett, Blau, Beige - dann aber gestern diese Zufallsmischung mit einer orangen Lasur zerstört. Die Formen schwammen nun - noch immer gut sichtbar -  in einer orangen "Soße"... Schön ist anders, aber das halte ich gut aus, ist ja wichtiger Teil meiner liebsten malerischen Prozesse. "Abenteuerspaziergang" nenne ich das gerne. Weil es dazugehört, ist auch das Unfertige, ja sogar Häßliche, stimmig. Mmhh - und jetzt ? Nach der - wie immer - ersten Ratlosigkeit hatte ich zu  Kreide- und Kohlestiften gegriffen und mit dem assoziativen Herausarbeiten der Bandformen begonnen. Die "Eier" hatten sich organisch hinzugefügt. Dann hatte ich noch zum bisher feinsten Synthetikhaar-Rundpinsel gegriffen, um die Kurven der Formen zu korrigieren und möglichst sauber zu modellieren. Ich mag es, Kurven eine gute Spannung zu verleihen und ihnen auf diese Weise pralles Leben einzuhauchen. Kurven, deren Spannung schwach ist, sind wie Pflanzen im Herbst. In ihnen bricht die Spannung langsam zusammen. Was - von der Ästhetik her - auch sehr schön sein kann. (Wie auch bei uns Menschen, wenn wir älter werden.)

Heute verfeinere ich die Formen, Farben und farblichen Nuancen immer mehr. Es dauert viele Stunden. Ich finde wieder Zugang zum "Friemeln".  Macht auch mal wieder Spaß. Ich muß dazu eine stärkere Brille aufsetzen...


Zum 6. Dezember 2020 (am Vortag gemalt und geschrieben)

Ich beginne mit einem ganz anderen Bild. Als sich ein Weg, wie ich weitermachen könnte, herauszukristallisieren beginnt, unterbreche ich den Malprozeß und gehe rüber zu "Kunst am Berg". Günter hatte vormittags eine neue Lichterkette besorgt und sie nun wieder um die Schaufenster herum aufgehängt. So kommt wenigstens ein bißchen Lichter-Leben in die lange Straße, die zum Kloster führt. Auch der "Bernhardhof" von schräg gegenüber beleuchtet seinen Gastraum an den geöffneten Tagen so, als könnte man dort jederzeit einkehren und seine Mahlzeiten nicht nur "to go" abholen. So strahlen wir beide wenigstens ein bißchen Behaglichkeit und Wärme aus in dieser nicht nur schwierigen sondern auch sehr dunklen Zeit. Ich mache einige Fotos von außen, auch die "Wand der Wandlung" ist gut zu sehen. Günter ist dort, er hat eingeheizt und malt an einem größeren Bild.

Ich drehe noch eine kleine Runde. Auf dem Rückweg kommt mir ein sehr kleines, sehr munteres Kind entgegen. Ich muß automatisch seinen Vater anlächeln, der hinter ihm geht. Eher grießgrämig erwidert er meinen Gruß. (Auf den Dörfern hier grüßen die Leute einander auch wenn sie sich nicht kennen. Eine schöne Sitte. Man merkt immer, wenn Leute aus der Stadt kommen. Die gehen als wären sie alleine auf der Welt.) Da tut mir der Mann sehr leid. Was mag wohl mit ihm sein? Das geht mir nach und ich beschließe spontan ein Smiley zu malen - für diesen Mann, den ich nicht kenne. Ich lasse das begonnene Bild stehen und zeichne ein lockeres Smiley auf eine schwarze Leinwand. (Ich habe schon Hunderte von Smileys mit dem Pinsel gezeichnet. Sie können tatsächlich SEHR verschienden aussehen! Es ist eine gute Vorübung zum Gesichermalen. Ich mache es gerne mit meinen Schülern.*) Gelb und Rot folgen, dann noch das Modellieren der beiden Flächen. Es soll nicht perfekt aussehen, ganz wichtig! Ich will zuerst noch den Titel "Für den Mann mit dem Kind" draufschreiben, unterlasse es dann aber doch. Die Wirkung von Smileys ist einfach magisch. Da müssen unsere Spiegelneuronen einfach reagieren, ob sie wollen oder nicht. Daß am nächsten Tag Nikolaus ist, ist mir beim Malen und Schreiben nicht bewußt...


Zum 5. Dezember (am Vortag gemalt und geschrieben)

Ich hatte gestern noch ein weiteres Bild begonnen, zuerst nur auf einem "Restefarben-Kompost": ich setze rhythmische Pinselspuren. Ein bewußt schlampig gesetztes Reihenornament lockert sich immer mehr auf, eine Komposition der vorwiegend senkrechten Bewegung mit dem Pinsel entsteht. Ich denke an ein stoffliches Gewebe oder auch an die Struktur von Geflochtenem und wie sehr dies mit der uralten, handwerklichen Kunst der Frauen verbunden ist. Oder der Teppichweberei. Es sind keine Zufälle, daß sich die schönsten der alten Exemplare nicht selten in den privaten Sammlungen von Künstlern* befinden.

Heute aber will ich das Ganze noch mehr aufbrechen, die Strenge weiter auflösen. Am Ende finde ich es ganz gut geglückt.

 

Ergänzung einige Tage später: Das Bild hat keinen Titel. Mein Bruder würde es "Fankurve" oder "Fanblock" nennen. Das war ihm als Fußballgucker dazu sofort eingefallen. Lustig. Darauf würde ich NIE im Leben kommen.


Zum 4. Dezember 2020 (am Vortag gemalt und geschrieben)

Heute Sonne! Spaziergang mit H.

16 Uhr. Wieder diese Unentschiedenheit. Das kreisende Suchen findet erstmal wieder Halt in der Musik. Und fragt sich aber gleich, ob es nicht erstmal besser wäre ohne - beim Hinab(?)steigen in das Reich der Bilder... Das innere Bild der Meditation von gestern empfinde ich noch immer als sehr schön, fried- und bedeutungsvoll. Und auch das Bild erinnert mich noch immer daran. (Wozu sind Bilder da, wenn nicht zum Er-innern?) Ob das so bleibt?

Die Musik erinnert mich auch: Ich will den Pinsel wieder tanzen lassen!

Ein Bild beginnen, an dem ich tagelang weitermalen könnte, wäre ein Einfaches. So aber kommt mir der Zug des Endes der mir zur Verfügung stehenden Zeit immer schon entgegen... Absichtlos ein Ziel im Auge zu haben ist lustvolle Heraus-

forderung. Ich beginne wieder mit Farben, auf die ich "Appetit habe". Heute: Ultramarin, Violett, Weiß und etwas Türkis. Ich verwasche sie wässrig auf dem Untergrund. Dann? Mmhh... - Der Pinsel ist schon älter und hinterläßt mit Druck interessante Spuren. Ich tupfe mit Weiß über den ganzen Untergrund. "Es schneit!" spiele ich und singe laut mit bei "Caro amico ti scrivo..." Ein "Getanztes Bild" entsteht. Verdichtungen erinnern dann an Blüten. Blumen? Ach nein, jetzt nicht. Lieber: Wolken! Lebendig und leicht. Ich lasse es so. Ein schneller Wurf heute.

Ich brauche noch die Farben auf, indem ich sie als "Kompost" auf anderen Leinwänden nutze. Ich male einfach noch weiter. Den ein oder anderen Joker zu haben bei 24 Tagen ist ja nicht verkehrt.


Zum 3. Dezember 2020 (am Vortag gemalt und geschrieben)

13.51 Uhr  - Beginne heute mit "Klassik zum Kochen" - einer CD, die sich vor vielen Jahren mal in den Haushalt meiner Eltern verirrt hatte und sich nun ebenso unbedarft bei mir eingefunden hat. Viel Walzer, leichte Kost. - Und räume dabei erstmal das Atelier auf. Dann folgen ein paar Grundierarbeiten. Das mit den schwarzen Leinwänden hatte sich ja wundersamer-

weise gefügt - besser hätte ich es mir nicht ausdenken können. Tatsächlich lagerten bei "Kunst am Berg" schon seit Längerem ca. 50 Stück dieser  30 x 40er Formate. Malbereit sozusagen. (Mehr dazu, nämlich wieso... ein anderes Mal.) Als ich mit Günter über die Idee zu dem Projekt sprach, erwähnte er sie - weil er sofort an die Ästhetik der gleichen Größe für alle Bilder dachte. Nach kurzem Zögern tauchte vor meinem inneren Auge dann plötzlich die Wand mit 24 dieser bereits schwarz grundierten Leinwänden auf. Oh, wie genial! Genau! Das war vor einer Woche.

15.20 Uhr - Ich habe einigen schwarzen "Reserve-Leinwände" eine bessere, z.T. weiße Grundierung verpaßt. (Auf diesem Untergrund läuft der Pinsel einfach besser.) Das Weiß aber erschreckt mich heute. Im Schwarz sind alle Farben "verschluckt", d. h. , es enhält sie - als Potential, alle. Die weiße Fläche hingegen wirft mir im "weißen Licht" die Farben unsichtbar gemischt zurück, es blendet mich. E. meint heute am Telefon, die Wand mit den schwarzen Flächen bei "Kunst am Berg" fasziniere ihn - "das Gleiche in Weiß wäre einfach nur langweilig!"

17.44 Uhr - Ich habe mich für eine Landschaft entschieden und denke beim Malen: "Erhole ich mich gerade von 'Welt'?"

Später: Die Landschaft, die zuerst noch in ganz warmen Farben aufzutauchen begann, wird immer dunkler - immer mehr Schwarz kommt hinzu. Ein Meer taucht auf, dem ich nicht widerstehen kann. Alles sehr, sehr dunkel. Ich denke bei den Wolken an Turner. Und dann "ein heller Streif am Hoizont". Und da ist sie plötzlich, die Stimmung vor Sonnenaufgang! - Und ich spüre sie mit verblüffender, sinnlicher Deutlichkeit. Ich mache eine Pause und falle quasi in eine Art Meditation: Ich sitze am Meer, es ist nicht mehr ganz dunkel, meine Sinne sind klar, es riecht noch feucht. Die Macchia, das Meer... nur sehr leise schieben sich rhythmisch kleine Wellen ans Ufer. Der Atem der Welt. Diese Stille und dieser unglaubliche Frieden. Das Bild ist so lebendig, daß ich den Frieden auch in mir spüre. Zwischendrin ein Blick auf das Bild. Dann kommt wieder das innere Bild. Ich spüre den Zauber in diesem Moment voller Erwartung, das Anbrechen des Tages. Reines Potential. Mit einem Mal verstehe ich, wieso so viele religiöse Traditionen das erste Beten ans Ende der Nacht legen. Es ist die Reinheit, die es in keinem Moment sonst mehr gibt am Tag. Orientierung, Ausrichtung ist hier noch möglich. Ich staune. Damit habe ich heute nicht gerechnet. Ist mir das je schon mal passiert beim Malen? Es muß lange her sein... als es noch mehr Ruhe und Zeit gab in meinem Leben.

Das Bild "da draußen" ist noch nicht fertig Aber es will wohl genauso gemalt werden. Ich brauche noch Blau. Das weiß ich jetzt gewiß.

Später: Erstaunlich, erstaunlich... - so ein dunkles Bild! Ich muß an meine Zeit damals auf Elba denken, als mit sehr dunklen Tuschezeichnungen mein Weg in die Geheimnisse der Malerei begann.

Damit hatte ich nicht gerechnet, als das Malen heute begann.


Zum 2. Dezember 2020 (am Vortag gemalt und geschrieben)

Beginn 15.20 Uhr - Ich greife intuitiv wieder zu Grün - oh, aha! - Dieses Mal jedoch zu einem helleren. Als Werkzeug erstmal eine Plastikkarte. Dann erst kommt der Pinsel, kommen auch weitere Farben in Spiel. (Ich will es aber wieder bei nur wenigen belassen.) Heute endlich will ich etwas realisieren, was mir seit dem Sommer im Kopf herumspukt. Ein rhythmisches Bild soll entstehen, aber nur mit dem Pinsel und strukturell großzügiger als die Bilder meiner kleinteiligen "Ornamental Journey", die vor 12 Jahren begann. Der mir so wichtige "Spirit" meines Projekts war in dem SZ-Artikel leider nicht rübergekommen, daran knabbere ich noch. ("... und dann kommt doch nur ein "Adventskalender" dabei raus!" Aber ich weiß ja, der Platz pro Artikel ist halt auch nur begrenzt...) Eineinhalb Stunden später sehe ich noch immer nicht, was da werden will, ich bin müde und unzufrieden. Ich höre Musik, Oscar Peterson in Paris von 1996 und Tumult von Herbert Grönemeyer. Das tut mir gut und muntert mich auf. Ich mache zwei oder drei Telefonate. Und sehr langsam will etwas werden... Die Bildfläche von 30 x 40 cm mag klein erscheinen, doch das Ordnen der Formen zu einem Ganzen dauert viele Stunden. Normalerweise würde ich noch öfter darüber schlafen, bevor ich ein Bild "frei gebe". Das ist hier nicht möglich. Es kommt an die Wand, wenn ich - zumindest für den jeweiligen Tag - zufrieden damit bin. Am Ende habe ich immerhin geschafft, was mir wichtig war: einen Anfang zu finden zu einem - vielleicht - neuen Weg, der gangbar wäre... Da ist es fast Mitternacht. Und da sich eine weißliche Kreisform in das Bild hineingeschmuggelt hat, die mich an den Vollmond vom Abend zuvor erinnert, hüpft der Titel "Vollmond-Arie" vorbei - und bleibt. Ich muß auch an meinen Garten denken. Und beim Malen und dem vielen Schwarz manchmal auch an Max Beckmann.


Zum 1. Dezember 2020 (gemalt und geschrieben am 30.11.2020)

Endlich, in bin in meiner "Malhöhle"! Fast alle Vorbereitungen sind erledigt - halt! - ein Plaktat für's Schaufenster fehlt noch - aber sonst: the best I could do. Frau Treybal, die nette Fotografin von der Süddeutschen war heute schon da. Sie bringen morgen was. Ach, guck! - Schön.

Wie starten? Das erste Bild... Der Auftakt. Vieleicht...  ja, warum eigentlich nicht anfangen mit einem LABYRINTH - die Symbolik war mir ja auch in das kleine Textgedicht in der Ankündigung  hineingefallen.

Ist auch was zum Warmwerden. Ach ja: 24 Tage lang jeden Tag ein Bild malen! - Ob das nicht ein bißchen viel sei...? - Aber es ist doch ein selbst auferlegtes DÜRFEN, kein MÜSSEN...! (Wenn Du wüßtest, lieber E., wie ich danach dürste, nach viel zu vielen Unterbrechungen in den vergangenen Monaten.)

 

Dr. Hermann Kerns hoch interessanter Vortrag über "Labyrinthe", damals 1982, in der Kunstakademie. Vor 14 Jahren dann das Thema für meine erste Ausbildungsgruppe aufbereitet. - Oh, das ist ja WIRKLICH interessant...! Seither spiele ich immer mal wieder selbst mit diesem 5000 Jahre alten Urbild. Die Reibung mit einer vorgegebenen Form. Wieviel Freiheit bleibt mir da noch?

 

Ich beginne mit weißem Kreidestift auf der schwarz grundierten Leinwand. Nehme aber bald den Pinsel und Weiß, Schwarz und Grün und fahre die Form wieder und wieder nach und korrigiere sie dabei. Wenn sich die Bewegung stimmig anfühlt, gelingt auch die stimmige Form. Das Auge will auch zufrieden sein, klar. Das mischt mit. Ich habe so große Lust zu malen, daß ich den "Fehler" mache und die Form mit dem Pinsel suche und nicht schon zuvor mit dem Stift. "Skizzen machen" nennt man das. Geht viel schneller. Aber ich will nicht, daß es schnell geht.

Nach ca. 2 Stunden gerate ich ins Stocken. Was tue ich da? Ich habe die anfängliche, interessante Spannung der schnellen Vorzeichnung "lieb gemalt". Meine Harmoniesucht! Mist! Erstmal was essen. Pause machen. Es gibt "Kühlschrank-Brote" (die im Stehen auf dem Kühlschrank zubereitet werden) und einen Schluck Rotwein.

Dann sagt meine innere Stimme plötzlich "SILBER!" - Ich: "Oh, nein...! Muß das sein?" - die Stimme bleibt beharrlich und so füge ich mich und nehme in Gottes Namen SILBER. (Ich nehme quasi NIE Silber!)

Mmh... gar nicht mal so schlecht. Ich übermale damit das ganze dunkle Grün. Hat was von GRAU... Und ein anderer Pinsel kommt dabei auch ins Spiel - der überhaupt DIE Lösung ist! Die Form war gar nicht so schlecht, wie ich dachte. Sie bekommt noch den Feinschliff. Ich lasse es jetzt so. Mal sehen, ob es "hält". Wenn nicht, macht es auch nichts. Dann hänge ich das Bild wieder ab und male so lange daran weiter, bis es paßt. Das könnte passieren.

 

Später gehe ich nochmal raus. Erst da sehe ich den Vollmond, der SEHR SILBERN in der kalten Nacht leuchtet. Ach so.


28.11.2020

Geschafft! - Das Projekt, zu dem ich erst vor 2 Tagen die Idee und das grobe Konzept entwickelt hatte (mit einer zündenden Idee von Günter) -  steht immerhin schon mal auf der Website! Bevor ich dann endlich mit dem Malen beginnen kann, sind noch ein paar kommunikative Arbeiten fällig. Presse, eMails und so. Aber jetzt erstmal: Pause!


Alle Texte: © Susanne Hauenstein (Abdruck, Zitieren nur mit Genehmigung der Urheberin)

Die Bildrechte der Künstlerin liegen bei VG Bildkunst